Kraftvoll sind sie, die Arbeiten von Georges Autard, mit großer Geste, farbmächtig aber nicht laut, energiegeladen und gleichzeitig in sich ruhend, Arbeiten voll visueller Direktheit, Rhythmus und Klang. Sie alle markieren seine jüngste Schaffensphase. Es sind Momentaufnahmen, Augenblicke von solcher Unmittelbarkeit, dass der Aufprall des Pinsels fast noch zu hören ist - zielsicher wie ein Pfeil, der ins Zentrum trifft. Andere dagegen, von zurückhaltender Farbigkeit leicht wie ein Flügelschlag, scheinen sie vom zartem Gleichklang des Atems überzogen. Sie wirken vor den gelbgrundigen Arbeiten tatsächlich wie drei Juwele. Die Mantraartig, fließend Gegensätze auflösenden großen Planen, strahlen Ruhe und einen beruhigten, nicht mehr von Gedankenflucht getriebenen Geist aus. Was für eine Ansammlung von Momenten voller Widersprüche, miteinander und gegeneinander wirkender Kräften. Alle Arbeiten sind sozusagen „Jetzt“ - Zeugnisse, vollkommen konzentriert auf die Wahrnehmung des gegenwärtigen Moments. Alles ist voller Präsenz, hellwach. Und von großer Gelassenheit. Vollständige Achtsamkeit ohne eigenes urteilendes Sortieren.
Mich erinnern sie an ein Haiku von Issa, Provinz Nagano (1763 -1827) :
Am Pflaumenbaume In voller Selenruhe Die grünen Blätter
Die Dinge betrachten, wie sie sind, die eigenen Gedanken fließen lassen, zulassen, ohne Bewertung.
Und wir finden in den Arbeiten von Georges Autard eine Haltung, die man mit „Die ganze Welt in einem Tautropfen“ umschreiben könnte.
Goethe formulierte in „Wilhelm Meisters Wanderjahre :
„Denn das ist eben die Eigenschaft der wahren Aufmerksamkeit, dass sie im Augenblick das Nichts zu allem macht.“
George Autard,1951 in Cannes geboren, ehemaliger Professor für Mathematik und Professor an der Kunstakademie in Marseille, wo er heute lebt und arbeitet, ist ein WANDERNDER : Von der Mathematik zur Metaphysik, ein Wandernder zwischen westlicher und ostasiatischer Kultur und Philosophie. Seit 1998 nämlich beschäftigt sich Georges Autard intensiv mit dem Buddhismus reist mehrfach nach Tibet und Japan. Seine archivierten Gedanken erschließen uns ein weites Feld : Was der Wandernde hinterlässt ist eine Art Gedankenlinie, die sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Sie irritiert, macht vielleicht ratlos, sie fordert uns heraus und schickt auch den Betrachter auf einen Weg.
Seine Statements sind spontane Notizen, unsortiert, zufällig - dem Beachtung schenkend und den momentanen Gedanken respektierend.Zeugnisse seiner wandernden Betrachtung von nebeneinander und miteinander existierendem Widersprüchlichem. In der Wandinstallation mit kleinformatigen Statements scheinen sie miteineinder zu kommunizieren.
Songtitel etwa von Bob Dylan wie Knockin’ on Heaven’s Door oder A hard rain’s gonna fall oder von den Rolling Stones Time is on my side oder auch Norman Greenbaums Song Spirit in the Sky.
Stehen neben :
PARADISE NOW
WISDOM + COMPASSION
Weisheit und Mitgefühl als Grundhaltung im Streben nach Erleuchtung.
Der drohenden Katastrophe und Untergangsstimmung in A hard rain’s gonna fall stehen Time is on my Side oder Spirit in the Sky oder auch Paradise Now gegenüber.
In MYSTIK ESTHETIK KOMMANDO prallen die Gegesätze in einem Statement aufeinander - oder sind es keine Gegensätze ?
Mystik als Eins- Erfahrung, als Aufhebung der Subjekt-Objekt Trennung, die unser dualistisches westliches Weltbild prägt. Ästhetik nicht als das Schöne, sondern im ursprünglichen Sinn als Lehre von der Wahrnehmung. Ästhetisch ist alles, was unsere Sinne bewegt, wenn wir es betrachten : Schönes, Hässliches, Angenehmes und Unangenehmes.
Kommando/eigentlich ein militärisch geprägter Begriff kann aber auch als Pflicht oder Richtlinie verstanden werden. Jedenfalls ist es eine herausfordernde Begriffskette, die zum Nachdenken anregt und ein gutes Beispiel dafür, wie George Autard den Betrachter einbindet, ihm die Tür öffnet, seine Arbeit mit eigenen Gedanken zu füllen.
Nehmen wir Georges Autards Farbpalette so verweist auch sie auf den Buddhismus. Da ist das Blau oder Orange, Gelb und sein Noir efficace, sein wirkmächtiges Schwarz. Sie alle stehen für innere Zustände, für Haltungen. Er verweigert sich jeglicher Gefälligkeit; er verweigert sich jeglicher Gewissheit und lässt uns in bescheidener Offenheit teilhaben an seinen Fragen und Zweifeln, seiner langmütigen Suche nach der Akzeptanz und dem Ausgleich von Widersprüchen. Jegliche Künstlichkeit ist ihm fremd. Die Schönheit von George Autards Arbeiten liegt im Unperfekten, der Asymmetrie, der Einfachheit, Sparsamkeit, Bescheidenheit.
Seine Zeichnungen und Collagen können sowohl als Hommage aber auch als Dekonstruktion und Auseinandersetzung mit geistesverwandten Künstlern verstanden werden, wie etwa Joseph Beuys, mit dem er in Kontakt stand. Diese aufschlussreiche Sammlung, dieses Archiv künstlerischer Positionen vervollständigt das Profil eines Künstlers, für den Kunst ein Erkenntnisinstrument ist, bei dem Kunst und Leben eine Einheit bilden und der die Betrachter großherzig daran teilhaben lässt.
Danke an Brigitte und Danielle March, dass sie uns die Teilhabe mit dieser Ausstellung ermöglichen.
© Gisela Sprenger-Schoch 2019
© Brigitte March International Contemporary Art
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