Jean Le Gac
L'ART, UN CONTE DE JEAN LE GAC
vie et position actuelles des oeuvres
art, a tale by Jean Le Gac
current life and position of works
OPENING
Sep. 30, 2021 from 18 - 21 h
You and your friends are welcome !
exhibition September 30 - Nov. 19, 2021
Jean Le Gac, Les Fantômes (avec sieste), 1991, c-photographie, ferrite et texte gravé sur cuivre, 29,5 x 21 cm, 240 x 359,5 cm, unique
Jean Le Gac: Ein Künstlerleben (Fiktion)
Die Arbeit von Jean Le Gac (geb. 1936) umkreisen kein "Unbekanntes Meisterwerk" im Sinne Balzacs, sondern den unbekannten Maler, der er selbst zu sein scheint. Er baut eine Künstlerfiktion auf, um sich dahinter zu verstecken. Die fotografischen Bilder verweisen auf die Texte und umgekehrt; eins scheint das andere zu erhellen, unterläuft aber auch seinen Anschein. Le Gac tritt in der dritten Person auf, als Naiver, der in seiner Heimat, einem südfranzösischen Grubengebiet, die Kunst entdeckt:
In seiner Kindheit kamen die wenigen Maler, die er nach der Natur arbeiten sah, wie Erscheinungen vor. Jedesmal, wenn er sie bei klarem, sonnigen Wetter in der Landschaft sitzen sah, mit ihrer unwahrscheinlichen Ausrüstung, ganz auf sich selbst konzentriert, war er so beeindruckt, dass er fürchtete, irgendetwas Unwiderrufliches werde so überraschend eintreten, dass es ihm ganz entginge ... Die Bilder, die diese Maler masslos langsam herstellten, waren ihm rätselhaft. Er verstand nicht, warum sie sich für dieses oder jenes Stück Landschaft interessierten, das ihm völlig vertraut war. Dazu schlichen sich offenkundig Fehler in diese geduldige Nachbildung einer Szenerie ein, die er so gut kannte, Fehler, die der maker sichtlich nicht bemerken wollte, so als weile er mit seinen Gedanken woanders.
Das Foto zu diesem Text zeigt Le Gac selbst vor der Staffelei sitzend. Er lädt andere in der scheinneutralen, wie verdinglichten Art des frühen Robbe-Grillet über sich aussagen. Wie oft bei J. L. Borges oder in Kriminalgeschichten, ist der Täter bekannt, es geht um die Aufdeckung der Spur, die zu ihm hinführt. Das Beschreiben dieses Labyrinths, oder genauer, der Ablenkung von ihm durch Beschreibung, gilt im wesentlichen Le Gacs Werk. So stellte er 1971 in der Galerie Rive Droite zusammen mit einem Doppelgänger namens Florent Max aus, der aber nur als literarischen Figur existiert hat, in einer Erzählung von Maurice Renard, deren Weltrechte Le Gac erwarb, um sie in seinem Katalog abzudrucken. Konsequent stellte er im folgenden Jahr seine Künstlerbiographie aus Kritiken zusammen und setzte für den eigenen Namen überall Florent Max ein. Mit dieser Mystifikation nicht genug, lag 1973 als Begleittext zur Ausstellung im Museum of Modern Art in Oxford das erste Kapitel einer Biographie Le Gacs aus, die von einem befreundeten Arzt stammt und sich Imitation de Jean Le Gac nennt.
Le Gac enthüllt sich also durch andere, tritt in fiktiven Abenteuern auf, veranstaltet eine Spurensuche und Schnitzeljagd nach sich selbst. In der Serie Die Weltreise (1975) besucht er in Paris pseudo-exotische Stätten - eine Pagode, einen türkischen Kiosk, das Modell der Freiheitsstatue vor den neuen Wolkenkratzern an der Seine -, die Fremde vortäuschen. Sie werden zu Schauplätzen von Situationen, die Thriller-Romanen nachgebildet scheinen. Dass es Täuschung ist, lassen sowohl die künstlichen Orte wie die Figuren, Le Gac und seine Familie, erkennen. Zugleich wird hier die Illusion des Reisens entlarvt, das einen auch in der absoluten Ferne nicht über sich selbst hinausführt. Die Schaffung und Brechung fadenscheiniger Illusionen verweist auf die Rolle des Künstlers überhaupt.
Neue Arbeiten gehen in dieser Schattenverfolgung noch weiter, in ihnen entsteht Le Gacs Silhouette vom Rande her, sie wird von anderen entworfen. Es sind zum einen seine Schüler - Le Gac ist Kunsterzieher an einem Pariser Gymnasium - zum anderen Plagiatoren. Die Aufgaben, die er seiner Klasse stellt, spiegeln eigene ästhetische Probleme und definieren auch den Lehrer, also bezieht Le Gac sie konsequent in eigene Arbeiten ein. Und die hier und da auftretenden Plagiate sind ein weiterer Widerschein seiner künstlerischen Identität.
Hinter dieser ausgeklügelten Tarnung steckt System, eine Strategie des Verweisens. Daher das Versteckspiel mit Häusern und Orten, die an Lektüre und Filme erinnern, daher auch die chiffrierten Jugenderinnerungen und Ferienerkundungen. Le Gac, den man in Amerika gern der Narrative Art oder Story Art zurechnet - ein Missverständnis, das ihn amüsiert -, liest selbst wenig erzählende Literatur, dafür um so mehr über den Mechanismus der Fiktion: von den Tagebüchern des Henry James mit ihren unzähligen möglichen Geschichten über Sartre Flaubert-Biographie "Der Idiot der Familie" bis zu Raymond Roussels Bekenntnis "Wie ich einige meiner Werke schrieb", das natürlich eine zusätzliche Verschlüsselung bezweckte. Le Gacs Überwechseln von der Malerei zur Fotografie ist aus dieser Perspektive des Fiktionen-Erzeugens zu sehen.
Der Vorgang war äusserst komplex und verlief auf zwei Ebenen: Zunächst als Kunsterzieher in Bethune tätig, malt Le Gac in der nordfranzösischen Abgeschiedenheit teilweise grossformatige abstrakte Landschaften, dann popartige Bilder, auch viele Aquarelle. Er will als Künstler arrivieren und beschickt für teures Geld die Pariser Salons und Ausstellungen, wo die Einsendungen allerdings kaum bemerkt werden. Das Jahr 1968 bringt die Krise, den Entschluss, keine Bilder mehr zu machen. Le Gac fasst einen "Plan fürs Leben": die Bâches (Planen) oder auch Bildercontainer. Naturausschnitte und Fotografien von Le Gac ersten Aktionen im Freien werden mittels Dias und Schablonen auf Papier übertragen. Das Verfahren ist halbmechanisch und äusserst mühsam. Le Gac punktiert die Umrisse durch und trägt die Valeurs schichtweise mit Tusche auf. Abschied von der Natur, vom Original also, Übergang zur Vervielfältigung. (...)
Im Mai 1971 veranstaltete Le Gac eine erste Ausstellung "ohne Werke" in der Galerie Rive Droite in Paris. Er zeigte Messages, Fotos mit einem auffordernden, aus dem Zusammenhang gerissenen Satz. Die gleichen Sätze wurden draussen von einem Lautsprecherwagen verlesen und als ausführliche Texte verschickt. Es war eine Zusammensetzspiel, eine auf weitere, fehlende Elemente verweisende Schnitzeljagd nach dem ganzen, das sich entzieht. Die Texte werden zusammenmontiert, in neue Rahmen eingesetzt und ergaben als Retrospektive der Jahre 1968 - 71 die Form der Hefte, die auf der documenta 5 ausgelegt waren. Le Gac hatte seine Methode gefunden: ein Übergang vom Kunstmachen zum Nachdenken über Kunst in Bildern.
Le Gacs Tun steht für das Meditieren des Künstlers über seine Situation, so wie man zehn Jahre vorher im Film über das Filmemachen nachgedacht hatte. Selbst wenn Kunst, also das Herausstellen von Gegenständen, momentan unmöglich sein sollte, scheint ihm doch die Existenz des Künstlers unbestreitbar. Indem er sich selbst ins Spiel bringt, sich aber auch auf scheinbar andere Figuren und Vorgänge zurückzieht, übt er das angestammte Recht der Erfindung. Eine Invention allerdings, die ihre eigene Enstehnung als Inhalt vorführt. Man kann dies an der Serie En Mini-Bus (1975) ablesen. Le Gac reiht Reisefotos aus Südengland , an deren Anlass er sich nicht mehr erinnert, aneinander und stellt mit den Unterschriften einen erdachten Zusammenhang her, den dann auch die Bilder in scheinbar logischer Folge zu honorieren scheinen.
Dies Verfahren beruft sich auf die Arbeitsweise von Raymond Roussels, der homophone, aber in der Bedeutung abweichende Wörter zu Handlungen kombinierte, die auf imaginärem Fundament in schönster Logik weiterbauten. Vorbildlich für das Aufeinderangewiesen-sein, aber auch das Sich-ausweichen von Text und Bild bei Le Gac sind ferner die "Ficciones" von Jorge Luis Borges mit ihren Denkspielen oder auch die Erzählung "Morels Erfindung" von dessen argentinischen Landsmann Bioy Casarès, in welcher eine Maschine vergangenes Leben immer von neuem re-produziert, bis der Erzähler eine Lücke findet und selbst in die perfekte Simulation eintritt. Hier ist die Nähe zu Le Gacs Technik des Glaubenmachens und seinem Verschwinden hinter dem Vorgestellten besonders greifbar.
Günter Metken, Spurensicherung, Kunst als Anthropologie und Selbsterforschung, Fiktive Wissenschaften in der heutigen Kunst, Dumont Verlag, Köln, 1977.
Jean Le Gac: An Artist's Life (fiction)
The work of Jean Le Gac (born 1936) does not revolve around an "unknown masterpiece" in the sense of Balzac, but rather the unknown painter who seems to be himself. He builds up an artist fiction in order to hide behind it. The photographic images refer to the texts and vice versa; one seems to illuminate the other, but also undermines its appearance. Le Gac appears in the third person, as a naive who discovers art in his homeland, a mining area in the south of France:
In his childhood the few painters he saw working from nature seemed like phenomena. Every time he saw them sitting in the countryside in clear, sunny weather, with their improbable equipment, completely focused on themselves, he was so impressed that he feared that something irrevocable would occur so surprisingly that he would miss it. The pictures which these painters produced extremely slowly were a mystery to him. He didn't understand why they were interested in this or that section of landscape that was completely familiar to him. In addition, errors crept into this patient replica of a scene that he knew so well, errors that the maker obviously didn't want to notice, as if his thoughts were elsewhere.
The photo accompanying this text shows Le Gac himself sitting in front of the easel. He invites others to testify about himself in the seemingly neutral, reified manner of the early Robbe-Grillet. As is often the case with J. L. Borges or in crime stories, the perpetrator is known, it is about uncovering the lead that leads to him. Describing this labyrinth, or more precisely, distracting from it by description, is essentially Le Gac's work. In 1971 he exhibited at the Rive Droite gallery together with a doppelganger named Florent Max, who only existed as a literary figure, in a short story by Maurice Renard, whose world rights Le Gac acquired in order to print them in his catalog. In the following year he consistently compiled his artist biography from reviews and used Florent Max for his own name everywhere. Not enough with this mystification, in 1973 the first chapter of a biography of Le Gac by a doctor friend and called Imitation de Jean Le Gac was available as a text accompanying the exhibition in the Museum of Modern Art in Oxford.
Le Gac reveals himself through others, appears in fictional adventures, organizes a search for clues and a scavenger hunt for himself. In the series Die Weltreise (1975) he visits pseudo-exotic places in Paris - a pagoda, a Turkish kiosk, the model of the Statue of Liberty in front of the new skyscrapers on the Seine - who pretend strangers. They become the setting for situations that seem to be copied from thriller novels. Both the artificial locations and the figures, Le Gac and his family, reveal that it is a deception. At the same time, the illusion of traveling is exposed here, which does not lead you beyond yourself even in the absolute distance. The creation and breaking of flimsy illusions refers to the role of the artist in general.
New works go even further in this shadow pursuit, in them Le Gac's silhouette emerges from the edge, it is designed by others. On the one hand there are his students - Le Gac is an art teacher at a Paris high school - on the other hand plagiarists. The tasks that he gives his class reflect his own aesthetic problems and also define the teacher, so Le Gac consistently includes them in his own work. And the plagiarism that occurs here and there is another reflection of his artistic identity.
There is a system behind this ingenious camouflage, a strategy of referral. Hence the game of hide-and-seek with houses and places that are reminiscent of reading and films, hence the encrypted memories of youth and holiday explorations. Le Gac, whom America likes to classify as narrative or story art - a misunderstanding that amuses him - himself reads little narrative literature, but all the more about the mechanism of fiction: from Henry James' diaries with their innumerable possible ones Stories from Sartre Flaubert's biography "The Idiot of the Family" to Raymond Roussel's confession "How I wrote some of my works", which of course aimed at additional encryption. Le Gac's transition from painting to photography can be seen from this perspective of creating fictions.
The process was extremely complex and took place on two levels: initially working as an art educator in Bethune, Le Gac sometimes paints large-format abstract landscapes in the northern French seclusion, then pop-like pictures, including many watercolors. He wants to make a name for himself as an artist and sends it to Paris salons and exhibitions for a lot of money, although the submissions are hardly noticed there. The year 1968 brought the crisis, the decision not to take any more pictures. Le Gac has a "plan for life": the Bâches (tarpaulins) or picture containers. Clippings of nature and photographs of Le Gac's first outdoor activities are transferred to paper using slides and stencils. The process is semi-mechanical and extremely laborious. Le Gac dots the outlines and applies the values in layers with Indian ink. Farewell to nature, from the original, transition to reproduction. (...)
In May 1971, Le Gac organized the first exhibition "without works" at the Rive Droite gallery in Paris. He showed messages, photos with an inviting, out of context sentence. The same sentences were read outside by a loudspeaker truck and sent as detailed texts. It was a piecing game, a scavenger hunt referring to other missing elements after the whole thing that eludes. The texts are assembled, placed in new frames and, as a retrospective of the years 1968-71, resulted in the form of the booklets that were laid out at documenta 5. Le Gac had found his method: a transition from making art to thinking about art in pictures.
Le Gacs Tun stands for the artist's meditation on his situation, just as one had thought about filmmaking ten years earlier in the film. Even if art, i.e. the exposure of objects, should be impossible at the moment, the artist's existence seems undeniable to him. By bringing himself into play, but also withdrawing to seemingly different characters and processes, he exercises the ancestral right of invention. An invention, however, that demonstrates its own creation as its content. This can be seen in the En Mini-Bus series (1975). Le Gac strings together travel photos from southern England, the occasion of which he no longer remembers, and creates an imaginary connection with the signatures, which the pictures seem to honor in an apparently logical sequence.
This procedure is based on the working method of Raymond Roussel, who combined homophonic, but in meaning different words to actions that continued on an imaginary foundation in the most beautiful logic. The "Ficciones" by Jorge Luis Borges with their puzzles or the story "Morel's invention" by his Argentinean compatriot Bioy Casarès, in which, are also exemplary for the reliance on one another, but also the evasion of text and image at Le Gac a machine re-produces past life over and over again until the narrator finds a gap and enters the perfect simulation himself. Here the proximity to Le Gac's technique of believing and its disappearance behind what is imagined is particularly palpable.
Text by Anne Dagbert 1998
'Traversée par une vision idéale de l’art, l’oeuvre de Jean Le Gac gravite autour de la figure mythique du Peintre, créée en tant que métaphore de la peinture. Des photo-textes des années soixante aux pastels et peintures associées à l’écrit (depuis les) années quatre-vingt et quatre-vingt-dix, un agencement formel original permet la création de labyrinthes temporels, où interfèrent des faits biographiques réels ou fictifs, de nombreuses références littéraires, ainsi que la copie d’illustrations de romans populaires. Par le truchement de doubles de fiction, par l’éparpillement des indices dans l’écriture et les images photographiques ou picturales, par leur association digressive, la recherche d’une énigme, figure métaphorique de l’art, chemine ainsi l’oeuvre en oeuvre, dont les multiples échos se répercutent à l’infini'.
Crossed by an ideal vision of art, the work by Jean Le Gac revolves around the mythical figure of the Painter, created as a metaphor for painting. From the sixties, the photo-texts, pastels and paintings, associated with writing since the eighties and nineties, an original formal arrangement allows the creation of temporal labyrinths, where real or fictional biographical facts interfere with many literary references, as well as copying illustrations from popular novels. By means of fictional doubles, by scattering of clues in writing and photographic or pictorial images, by their digressive association, the search of an enigma, a metaphorical figure of art, thus progresses the work in work, whose multiple echoes reverberate ad infinitum.
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© Brigitte March International Contemporary Art
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